Etruskische Granulation

Etruskische Granulation Ingrandisci

Eine antike Goldschmiedetechnik

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  • Autore: Gerhard Nestler – Edilberto Formigli
  • Anno: 1994
  • Formato: 17 x 24 cm.
  • Pagine: 96 S., Abb.
  • ISBN: 88-7145-052-3

10,00 €

Etruskische Goldschmiede schufen ihre Werke für die Lebenden wie die Toten, sowohl als Ausdruck der Würde und des gehobenen Standes, wie als Bestandtteil des Totenkultes. Mit ihrer verfeinerten Granulationstechnik erlangten sie ein künstlerisch-technisches Niveau, das später nie wieder erreicht wurde, des­ halb soll ihnen hier unser be­ sonderes Augenmerk gelten.

Beachtung verdient sowohl die Komplexität der Motivpalette als auch das Ausschöpfen der Grenzen technologischer Möglichkeiten ihrer Zeit.

Im siebten und sechsten Jahrhundert v.C. waren etruskische Handwerker bereits in der Lage, ihren Goldschmuck mit feinstem Granulat im Durchmesser um 0,12 mm zu belegen. Da das bloße Auge dann kaum noch einzelne Körner zu unterscheiden vermag, eher eine samtene Mattierung der Oberfläche wahrnimmt, spricht man in solchem Fall von Staubgranulation.

Für manche Schmuckarbeiten wurden Tausende, ja zigtausend Granalien in nahezu gleicher Größe verarbeitet, wie zum Beispiel für die große Scheibenfibel von Cerveteri im Vatikan (Museo Etrusco Gregoriano). Auf dieser außergewöhnlichen Arbeit wurden über 120.000 Granalien einzeln an den goldenen Grund geheftet und nur punktuell mit einander verbunden.

Wer es zu solcher Kunstfertigkeit brach­ te, hat natürlich profitiert vom Wissen derer, die vor ihm waren. Und wer da glaubte, die Etrusker hätten diese raffinierte Ziertechnik überhaupt erst entwickelt, wird wohl erstaunt sein, zu erfahren, daß die Granulation bereits in etruskischer Zeit eine antike Technik mit zweitausendjähriger Tradition darstellte.

Die ältesten, bis heute bekannten Objekte mit Granulatverzierung datieren aus der Zeit um 2500 v.C. und wurden aus den Königsgräbern von Ur geborgen. Von Mesopotamien fand die Granulation besonders nach der Zerstörung von Ur den Weg nach Anatolien, Syrien und Troja (2100 v.C.). Teile des von Schliemann gehobenen “Schatz des Priamos” demonstrierten bereits eindrucksvoll mit Linien- und frühen Dreiecksgranulationen den hohen technischen Stand Trojas in der zweiten Siedlungsperiode.

Ab dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend standen ägyptische Gold­ schmiede des Mittleren Reiches noch deutlich unter mesopotamischen Einfluß. Älteste Granulationsfunde entstammen den Prinzessinnengräbern von Dahchour 3. Natürlich darf nicht un­ er­ wähnt bleiben, welche Schätze uns das Neue Reich bescherte, denken wir an den einziartigen Grabschatz des Tut-ench-Amun. Zierdolche, Ringe und ­ Armreifen tragen dekorative Verzierungen in Linien-, Dreiecks- und Rauten­ gra­ nu­ lationen aus Rotgold und Electrum (eine native Gold-Silberlegierung). Das Granulieren unterschiedlicher Gold­ legierungen setzte eine für die damalige Zeit hohe metallurgische Kenntnis vor­ aus!

Um 1600 v.C. finden sich auch in Palästina sumerische Einflüsse und in der Folge palästinensische in Zypern. Dort entstand ein beachtliches Werk mit über 4000 Granalien, ein Anhänger mit neunreihiger Dreiecksgranulation. Ver­ folgen wir aber den Zug dieser Schmuck­ kunst weiter nach Westen.

Ex oriente lux! Das galt knapp 2000 v.C. auch für minoische Goldschmiede. Sie nutzten die anspruchs­ volle Zier­ technik der Granulation für ihre tradiierten naturalistischen Schmuckformen, wiederum mehr mesopotamisch als trojanisch inspiriert. Damit war der erste Schritt nach Europa getan.

Noch vier Jahrhunderte gingen da­ hin, bis auch das von Barbaren­ einfällen heimgesuchte griechische Fest­ land die neue alte Technik aufnahm. Große Umwälzungsprozesse fanden ihren Aus­ druck auf breiter Ebene. Die Granulationen früh­ mykenischer Zeit zeigten eher eine statisch-rationale Formensprache. Mit dem Niedergang Mykenes im 12. Jahr­ hundert v.C. erlosch auch auf der Peloponnes diese Kunstform für über zweihundert Jahre. Im Zuge der Ein­ wanderung dorischer Stämme erlebte Hellas seine Selbstfindung. Mit der griechischen Kolonisation im 8. vor­ christ­ lichen Jahrhundert schließlich, lebte auch die Granulationskunst wieder auf.

Während die Griechen ihre ersten west­ lichen Kolonien errichteten, pflegten phönizische Kaufleute unabhängig ihre traditionellen Handelsverbindun­ g­ en weiter, und ließen sich wegen einer gerade einsetzenden assyrischen Bedrohung vereinzelt auch auf der Appenin­ halbinsel nieder. Diese Tatsache könnte der Schlüssel dafür sein, daß die ersten Granulationsobjekte der Etrusker nicht etwa griechischem, sondern eher phönizischem Einfluß unterlagen.

So ist es also sehr wahrscheinlich, daß eingewanderte phönizische Goldschmiede “neue” Techniken wie die des Filigran und der Granulation nebst ihrer dekorativen Ikonografie in Etrurien einführten. Kennzeichnend hierfür ist eine Sanguisuga-Fibel von Tarquinia (Abb. 21), eines der ältesten Beispiele etruskischer Granulationskunst 4. Während die von Villanova abzuleitende Sanguisugaform typisch etruskisch ist, gehört das Palmettenmotiv, das sie verziert, ursprünglich in das phönizische Dekorationsrepertoir. Diese importierte Stil­ richtung manifestierte sich nun im 8. Jahrhundert v.C. und kennzeichnete im folgenden 7. Jahrhundert die Orientalisierende Phase.

Die Einleitung der “Metallurgie” des Plinius d.Ä. beginnt mit der Feststellung: “Die Metalle sind in sich selbst ein Reichtum und zugleich der Preis der Dinge” (Nat.hist., XXXIII, 1,1).

Goldgegenstände beschränkten sich in der Villanova-Periode fast aus­ schließ­ lich auf das Motiv der Sonnenscheibe in punziertem Blech. Andere Schmuckmaterialien waren vor allem Bronze und Bernstein.

Für etruskische Handwerker, die die Bronze-Feingußtechnik raffiniert be­ herrschten, sollte es ein Leichtes gewesen sein, sich die neue Technologie anzueig­ nen. Im besonderen die Kunst der Granulation scheint sofort eine allgemeine Faszination ausgeübt zu haben, sowohl auf den fürstlichen Auftraggeber, wie den Hand­ werker selbst. Das beweisen uns die nun reich ausgestatteten Tomben adeliger Familien.

Auf Schmuck und Gerät findet sich anfänglich wiederum fast ausschließlich das geometrische Formenvokabular, zunächst noch mit einer limitierten Zahl von Granalien.

Die spätorientalisierende Phase aber präsentiert sich schon mit gereifteren Formen, und eine beachtliche Anzahl Granalien ziert nun die Schmuckobjekte mit Meanderbändern oder konturiert figurale Motive.

In immer reicherer Zahl werden die winzigen Granalien zu den eigentlichen Protagonisten der Schmuck­ werke erhoben. Eine Sanguisuga-Fibel aus Tuscania im British Museum, datiert um 630 v.C., wurde mit fast 25.000 Granalien um 0,12 mm Ø in feinstem geometrischen Stil belötet.

In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts v.C. mit der Anwendung der Silhouettentechnik in Zentren wie Vetulonia oder Vulci zierte zahlreiche Objekte ein dichtes Ornat flächiger Streu- oder Staubgranulation.

Die kleinste Korngröße, die größte Motivpalette in raffinierter Ornamentik, kennzeichnen eine Zeit höchsten Anspruchs.

Im 6. Jahrhundert v.C., in der Archaischen Phase, verliert die Granu­ lations­ kunst etwas von der zentralen Bedeutung des vergangenen Jahrhunderts. Nun gesellen sich zu raffiniertem Dekor Spiraldrähte in verspielter Anordnung oder auch florale Motive aus dünnstem Blech geformt. Eine pointilistisch matte Staubgranulation des vertieften Grundes wird gegen glatt erhabene Partien abgesetzt.

In der sogenannten Klassischen Periode, dem 5. und 4. Jh. v.C., ist die Granulation nicht nur opulente Zier, sondern dient auch der Überbrückung von Nähten, Löchern, an Lötstellen als hilfreiches Medium, zum Beispiel bei Körbchen-Ohrringen 5 oder Discus-Ohrringen aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts v.C.

Zuweilen setzt nun eine punzierte Körnung statt flächiger Streugranulation das geprägte Figurenmotiv vom tiefer liegenden Hintergrund ab 6.

Der Zenit einer verfeinerten Kunst­ form ist bereits überschritten, sie ist selbst zum Ausdruck allgegenwärtiger hellenistischer Mode geworden. Um den “Verlust der Mitte” zu überdecken, trat Eigenes in den Hintergrund und machte oft barocker Fülle Platz.

  • Autore Gerhard Nestler – Edilberto Formigli
  • Anno 1994
  • Formato 17 x 24 cm.
  • Pagine 96 S., Abb.
  • ISBN 88-7145-052-3